LOGBUCH: 8 Tage Atlantik

Start: La Palma, Kanaren
Ziel: Kapverden
Distanz: 950 sm
Zeit: 7 Tage und 17 Stunden

Info:
Das „Etmal“ beschreibt immer die Distanz, die wir in 24h zurücklegen. In diesem Fall von 11:00 Uhr bis 11:00 am Folgetag.

25.11.2024

Wind: 3-12 kn
Welle: 1-2 m

Am Mittag starten wir in Santa Cruz de La Palma auf den Kanaren zu unserer Überfahrt auf die Kapverden. Wir haben uns eine eher schwachwindige Phase herausgesucht in der Hoffnung, dass die Wellen entsprechend angenehm sind.

So geht es bei sonnigem Wetter und leichtem Wind mit einem Mix aus Motor, Oxley (unser großes buntes Leichtwindsegel) und ausgebaumter Genua entlang der Küste von La Palma. Am Abend haben wir El Hierro querab. Mittlerweile ist der Wind auch beständiger geworden, sodass wir unter Segel in die Nacht starten. Wir beginnen mit unserem üblichen Nachtwache-Rhythmus. Das bedeutet, dass Imke sich bis Mitternacht schlafen legen darf und Nicolai solange aufpasst.

26.11.2024

Etmal: 106 sm (plus ca 15 wegen des Umweges)
Wind: 6-14 kn
Welle: 3-4 m (14 Sekunden Länge – sehr angenehm)

Nach dem Wachwechsel nimmt der Wind ab und gegen 01:00 holt Imke die Segel rein und startet den Motor. Um kurz nach 4 weckt sie Nicolai und kuschelt sich nach einer kurzen Übergabe ins Bett.
Nicolai kontrolliert das Radarbild, das AIS (ein Kollisionswarnsystem) und schaut in alle Himmelsrichtungen um das Boot. Da nichts gefährliches zu sehen ist, kann er sich seinem Hörbuch widmen. Diesen „Rundumblick“ machen wir in den Nachtschichten alle 15 bis 20 Minuten. Am frühen Morgen frischt der Wind etwas auf, so dass die Genua wieder ausgerollt wird und der Motor aus geht.

Während der Morgendämmerung kreist immer wieder ein Rettungshubschrauber in unserer Nähe. Schon am gestrigen Abend hatten wir über Funk gehört, dass ca. 150 sm südlich von El Hierro ein Holzboot mit Flüchtlingen entdeckt wurde. Um 9 Uhr entdeckte Imke dann ein Holzboot ca. 500 Meter entfernt von uns. Durch die hohen Wellen ist es immer nur alle paar Sekunden zu sehen, ehe es wieder im Wellental verschwindet. Wir setzten sofort eine Funkmeldung ab, welche auch prompt von den Kanaren beantwortet wird. Wir werden gebeten das Holzboot mit etwas Abstand zu begleiten, bis ein Rettungsboot vor Ort ist. Wir rollen also die Genua ein, lassen den Motor an und setzen Kurs Nord. Nach 2 Stunden ist dann das Rettungsboot da, und nimmt die 150 Personen an Bord. Wir drehen wieder nach Süden ab und setzten Kurs auf die Kapverden.

Der Tag vergeht ansonsten ereignislos. Wir sprechen viel über das Erlebte und merken einmal mehr, was für ein privilegiertes Leben wir doch führen dürfen.

27.11.2024

Etmal: 133 sm
Wind: 5-18 kn
Welle: 2-3 m (lange Welle)

Eine dichte Wolkendecke macht die Nacht leider ziemlich dunkel. Der konstante Wind bringt uns aber gut voran. Nur manchmal werden wir von den Wellen hin- und hergeworfen, doch der Autopilot steuert uns sicher und zuverlässig. Auf La Palma hatten wir erst den neuen Autopilot-Motor eingebaut. Bisher sind wir sehr zufrieden.

Am Nachmittag schläft der Wind immer mehr ein. Wir nutzen die ruhigen Bedingungen und kontrollieren bei einem Rundgang an Deck das laufende und stehende Gut (Seile, Mast, Baum, Wanten und Stage und alles was da mit dran ist).
Hierbei machen wir eine unschöne Entdeckung. Ein Kardeel einer Unterwant ist gebrochen. Dabei ist das Rigg gerade erst 2 Jahre alt und hat ca. 2500 Seemeilen auf dem Buckel. Das ist ungewöhnlich und überrascht uns – wo wir doch grad auf La Gomera einen Rigger zum Check an Bord hatten.

Wir schauen in ein paar Bücher und informierten uns, wie wir damit umgehen sollen. Das Ergebnis ist ein Unterstützungsseil, welches das betroffene Unterwant absichern soll. Ausserdem ein besonders konservativer Segelstil, um das Rigg so wenig wie möglich zu belasten. Etwas unheimlich ist uns die Situation schon, aber wir sind guter Dinge, dass wir sie meistern können. Da es mittlerweile fast dunkel ist, beschließen wir erstmal mit dem Spi-Fall den Mast abzusichern und morgen im Hellen ein Dyneema-Tau von den Salingen zur Backbord Klampe zu spannen. Über Nacht würden wir aufgrund der Flaute eh unter Motor fahren müssen.

Am Abend kommt uns dann eine riesige Delfinschule besuchen und begleitet uns mit zum Teil fantastischen Sprüngen. So ist die Stimmung wieder hervorragend.

28.11.2024

Etmal: 126 sm
Wind: 5-14 kn
Welle: 1-2 m

Nachdem seit gestern Abend ununterbrochen der Motor lief, ist es gegen 8 Uhr eine Erlösung, die Genua wieder auszurollen und den Motor abzuschalten. Sobald das monotone Brummen weg ist, hört man wieder das Rauschen und Gurgeln des Ozeans, welches im Zusammenspiel mit der Pinelle entsteht. Ein sehr beruhigendes Geräusch. Wieder nur mit der Kraft des Windes voran zu kommen, macht einen stolz und glücklich zugleich.

Ein plötzliches „Wale!“ weckt Nicolai morgens aus dem Halbschlaf. Imke hat Wache und während sie den ersten Kaffee trinkt, kommt eine Schule Pilotwale vorbei. Sie schwimmen immer wieder von schräg hinten an das Boot heran, um dann knapp vor dem Bug durch zu tauchen. Ein spannendes Erlebnis. Wir können den Pilotwalen manchmal direkt in die Augen sehen. Was die sich in dem Moment wohl gedacht haben?

Glücklicherweise schläft der Wind mittags wieder ein, sodass wir sehr ruhige Bedingungen haben. Gute Bedingungen für die Absicherung des Mastes. Nur die Welle schaukelt die Pinelle manchmal etwas durch. Nicolai winscht Imke in den Mast und mit einer Bandschlinge sichert sie sich an selbigem, um nicht hin- und hergeworfen zu werden. Dann befestigt sie ein Dynemaa-Tau auf Höhe der Salinge. Mit einer Art Flaschenzug spannen wir das Tau nach unten. Das sollte uns etwas Ruhe verschaffen.

Kurz nach der Aktion können wir auch wieder die Genua setzen und den Motor aus machen, da ein leichter Wind aufkommt.

Imke startet in die Nachtschicht und erlebt einen wunderbar klaren Sternhimmel. Die vielen Sterne der Milchstraße funkeln nur so um die Wette. Während Nicolai´s Nachtschicht hat er kurzen Funkkontakt zu einer anderen deutschen Segelyacht, welche auch die Kapverden ansteuert. Ansonsten ist es um uns herum dunkel und weder auf dem Radar noch dem AIS sind andere Schiffe zu sehen.

29.11.2024

Etmal: 113 sm
Wind: 6-12 kn
Welle: 1-2 m

Im Laufe der Nacht nimmt der Wind immer mehr ab, so dass wir erst vor dem Wind kreuzen, später dann doch wieder den Motor starten, als der Wind komplett einschläft und wir auf der Stelle dümpeln.

Kurz vor mittag zieht plötzlich etwas an unserer Angel. Hat etwa unser allererster Fisch angebissen? Wir holen langsam die Schnur ein. Mehrmal springt ein Mahi Mahi (Goldmakrele) hinter der Pinelle aus dem Wasser. Dann lässt plötzlich der Zug an der Angel nach – der Mahi Mahi hat sich befreit. Also geht die Angelschnur direkt wieder ins Wasser.
Kurze Zeit später hängt dann erneut ein kleiner Mahi Mahi am Haken. Diesmal können wir ihn an Bord holen und Imke filetiert den Fisch. So haben wir 2 perfekte, kleine Filets für unser Abendessen. Den Ablauf beim „an-Bord-holen“ müssen wir definitiv nochmal üben, aber da bietet sich sicherlich noch Gelegenheit.

Am frühen Nachmittag geht der Motor endlich aus – wir können wieder segeln. Den Abend verbringen wir damit, den Sternenhimmel zu entdecken. Gegenüber dem norddeutschen Himmel gibt es doch einige Veränderungen. Wir entdecken mit Hilfe unseres Sternbuches viele Sterne, Sternbilder, Planeten und sogar Galaxien. Ein Highlight ist die Entdeckung der Andromedagalaxie. Sie ist das entfernteste Objekt am Nachthimmel, welches noch mit dem bloßen Auge zu sehen ist. Ein aufregender Moment.

30.11.2024

Etmal: 109 sm
Wind: 6-13 kn
Welle: 1,5-2,5 m (etwas kürzer, unruhiger)

Der Tag beginnt mit wenig Wind, sodass die Segel anfangen zu schlagen. Dem Rigg zu Liebe rollen wir die Segel ein und starten den Motor. Für unseren Geschmack motoren wir viel zu viel, aber mit dem angeknacksten Want wollen wir nichts riskieren. Erfreulicherweise kommt am Vormittag der Wind wieder zurück und der Motor kann aus.

Mit etwas Unbehagen machen wir heute die tägliche Deckskontrolle, denn Imke hatte morgens ein metallisches „Plong“ gehört. Und in der Tat: Bei der Kontrolle sehen wir ein weiteres gebrochenen Kardeel. Kein allzu schönes Gefühl.
Nicht optimal ist auch die höher und kürzer, also steiler, werdende Welle. In Kombination mit wenig Wind, schlägt die Genua trotz Spibaum viel hin- und her. Schließlich nehmen wir sie runter und machen den Motor doch wieder an.

Bei einer weiteren Deckskontrolle entdecken wir noch ein gebrochenes Kardeel. So langsam wird uns mulmig. Würden wir bald das ganze Unterwant verlieren?
Noch etwa 300 Seemeilen bis Mindelo. Wenn es gut läuft sind wir in 2,5 Tagen da. Aber die Bedingungen sollen rauer werden. Deutlich mehr Wind und auch mehr Welle.

Wir würden uns am liebsten jetzt da sein. Wir machen uns immer mehr Sorgen um die Pinelle und haben Angst, dass nachher doch der Mast runterkommt. Die vielen Geräusche im Boot kommen uns plötzlich neu und unheimlich vor. Dabei sind es meist Geräusche, die wir schon kennen. Es ist normal, dass (alte) Boote viel knatschen und ächzen. Trotzdem – wir sind nervös. Es geht uns nicht gut. Wir müssen aber noch durchhalten!

01.12.2024

Etmal: 139 sm
Wind: 14-20 kn
Welle: 2-3 m (eher kurz, unruhig)

Die Nacht fahren wir unter Motor, mit dem Wissen, dass wir nicht genügend Diesel dabei haben, um bis nach Mindelo zu kommen. Wir beschließen, immer nachts unter Motor zu fahren und tagsüber mit kleinen Segeln zu segeln, da wir da eine bessere Kontrolle haben und einfacher reagieren können, falls wirklich etwas passiert.

Am Morgen kontrollieren wir die Spannung der Oberwanten, verändern sie ein wenig und setzen eine kleine Genua. Wie vorhergesagt frischt der Wind auf, dadurch wird auch die Welle höher. Durch den alten Schwell entsteht eine unangenehme Kreuzsee. Wir haben beide die letzte Nacht kaum Schlafen können und sehnen uns nach ankommen. Die Stimmung ist angespannt.

02.12.2024

Etmal: 127 sm
Wind: 16-20 kn
Welle: 2-3,5 m (aus unterschiedlichen Richtungen)

Der Wind frischt weiter auf. Die Welle wird höher und kürzer. Wir essen auf dem Fußboden im Cockpit, da die Pinelle so doll schaukelt, dass sonst alles vom Teller fliegt. Und wir fragen uns, was wir hier eigentlich machen und ob wir uns vielleicht zu viel vorgenommen haben. Der Schlafmangel macht sich bemerkbar. So ist es gar nicht so einfach aus den negativen Gedanken heraus zu kommen. Wir sagen uns: „Erstmal in Mindelo ankommen, danach schauen wir weiter.“

Für etwas Ablenkung öffnen wir die Adventskalender-Geschenke von unseren Familien. Das tut uns gut. Eine Weile sind wir erfüllt von positiven Gedanken.

Doch ein weiteres Kardeel bricht. Wir bergen das Segel und fahren unter Motor weiter. Wir sind jetzt so nah an den Kapverden, dass unser Dieselvorrat reichen wird. Mehr Belastung wollen wir dem Rigg nicht zumuten.

Zum Abendbrot machen wir Pizza – ein absolutes Soul-Food für uns. Durch das Geschaukel ist es zwar ziemlich schwierig, den Teig zu belegen, aber es schmeckte wunderbar. Eine Delfinschule erheiterte uns ein weiteres Mal mit beeindruckenden Sprüngen.

03.12.2024

Etmal: 97 sm
Wind: 18-22 kn, in Böen kurz vor der Insel mehr
Welle: 2-3,5 m (aus unterschiedlichen Richtungen)

In der Nacht sehen wir dann endlich einzelne Lichter am Horizont. Das muss die Insel Sao Vincente sein. Die Anspannung ist so hoch, dass von uns keiner schlafen mag. Trotzdem sind wir wahnsinnig müde, sodass wir uns mit Cola versuchen wach zu halten.

Gegen 3 Uhr passieren wir eine kleine unbewohnte Insel vor der Bucht von Mindelo. Wir biegen hinter der Insel in die Bucht ein. Die vielen Lichter von den unterschiedlichen Hafenkais, der Stadt und dem Ankerfeld überforderten uns erstmal. Die wenigen Fahrwassertonnen können wir nur schwer ausfindig machen. Zudem soll es einige Wracks geben, die angeblich in den Karten nicht gut verzeichnet sind.

Zusammen mit der Übermüdung eine schlechte Situation, um nachts in unbekannten Gewässer anzukommen. Wir entscheiden uns also erstmal ganz außen am Rand des Ankerfeldes den Anker zu werfen. Um 4 Uhr 55 fällt der Anker dann auf 7,5 Meter Wassertiefe. Wir brauchten 2 Versuche bis der Anker hält. Wir sind so k.o. und müde wie vermutlich niemals zu vor in unserem Leben. Im Cockpit legten wir uns hin, um bis es hell wird etwas Schlaf zu bekommen.

Ein Frühstück nach Sonnenaufgang läutet unseren ersten Tag auf den Kapverden ein. Wir fahren in die Marina und dann realisieren wir es:
Wir haben es tatsächlich bis auf die Kapverden geschafft. Nach 950 Seemeilen in 7 Tagen und 17 Stunden. Durch die Müdigkeit sind wir den Tag noch ziemlich gezeichnet und der Zweifel an dem gesamten Vorhaben groß. Doch mit jeder Stunde nachgeholten Schlafs schwindet der Zweifel und wird zu Stolz die Etappe gemeistert zu haben.

Dass das andere Unterwant auch gebrochen ist, erfahren wir zum Glück erst am nächsten Tag. Unterwegs hätte uns diese Info wohl den letzten Nerv gekostet…

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